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Weißer Belag oder Risse? Zungendiagnostik im Ayurveda

19.12.2024 | Ayurveda, Gesundheit, Wissen

Weißer Belag oder Risse? Zungendiagnostik im AyurvedaOb spitze Zungen, Engelszungen und das Zünglein an der Waage: Die Zunge ist buchstäblich in aller Munde. Vieles von dem, was wir täglich tun, wäre ohne sie gar nicht möglich. Dabei ist unsere Zunge so einzigartig wie der Rest unseres Körpers: Im Ayurveda ist die Zungendiagnostik deshalb eines der wichtigsten Untersuchungsverfahren. Geübte Augen erkennen die individuelle Dosha-Kombination und Hinweise auf Störungen und Krankheiten. Du möchtest lernen, wie die Zungendiagnose funktioniert? Wir haben die Grundlagen für Dich zusammengefasst.

Diagnose-Techniken im Ayurveda

Wie Du wahrscheinlich weißt, gilt der Ayurveda als das älteste Heilsystem der Welt. Die ältesten bekannten ayurvedischen Schriften sind mehr als 5.000 Jahre alt. Weil damals vieles gar nicht schriftlich festgehalten, sondern nur mündlich weitergegeben wurde, kann es durchaus sein, dass der Ayurveda sogar noch viel älter ist.

Vor 5.000 Jahren war unsere Welt noch eine andere. Ayurveda-Ärzte hatten damals keine Röntgengeräte, MRTs und Labore, um eine Diagnose zu stellen. Das Wichtigste, was Studenten lernen mussten, war, ihre Sinnesorgane zu nutzen und zu verfeinern. Damit sind übrigens tatsächlich alle fünf Sinne gemeint: Viele traditionelle Ayurveda-Ärzte arbeiten auch mit ihrem Geruchs- und Geschmackssinn, wenn sie einen Patienten untersuchen.

Wie immer im Ayurveda geht es bei der Diagnostik darum, das große Ganze zu sehen. Dafür arbeiten klassische Ayurveda-Mediziner mit einem achtfältigen Untersuchungssystem (Ashthavidha Pariksha):

  • Nadi Pariksha (Pulsdiagnostik)
  • Mala Pariksha (Stuhldiagnostik)
  • Mutra Pariksha (Urindiagnostik)
  • Jihva Pariksha (Zungendiagnostik)
  • Sparsha Pariksha (Berührung der Haut)
  • Shabdha Pariksha (Analyse der Stimme)
  • Drik Pariksha (Augenuntersuchung)
  • Akriti Pariksha (Allgemeiner Eindruck des äußeren Erscheinungsbildes)

Die Diagnose-Methoden des Ayurveda haben sich über die Jahre immer weiterentwickelt und verfeinert. Die Zungendiagnostik wurde zum Beispiel in den ursprünglichen ayurvedischen Werken noch nicht erwähnt und die Pulsdiagnostik ist erst ab 1558 n.Chr. dokumentiert. Heute gehören Zunge und Puls zu den wichtigsten Untersuchungskriterien des Ayurveda.

Puls- und Zungendiagnostik: Eine Kunst für sich

Heute nutzen natürlich auch Ayurveda-Mediziner zusätzlich die Vorteile der westlichen Diagnoseverfahren. Trotzdem haben die traditionellen Methoden nichts an ihrer Gültigkeit verloren. Vor allem die Zungen- und Pulsdiagnostik des Ayurveda üben auf viele Menschen eine große Faszination aus.

Manche Therapeuten verlassen sich bei der Diagnose vor allem auf den Puls. Er reagiert aber sehr schnell auf äußere und emotionale Einflüsse und ist deshalb störungsanfälliger als die Zungendiagnostik. Aus ayurvedischer Sicht zeigt die Zunge ein langfristigeres Gesamtbild des Körpers, nämlich etwa die Prozesse der letzten 3 Wochen bis 3 Monate. Ganz besonders repräsentativ ist die Zunge für unser Verdauungssystem.

Liegen Störungen und Krankheiten vor, zeigt sich das innerhalb kürzester Zeit an der Farbe, Beschaffenheit und dem Belag der Zunge. Am Aussehen der Zunge erkennen wir außerdem den Dosha-Typ und mögliche Dysbalancen. Die ayurvedische Zungendiagnostik richtig zu beherrschen, erfordert allerdings viel Geduld und Übung. Wenn Du die Grundlagen kennst, kannst Du damit beginnen, Deine eigene Zunge zu analysieren.

Zungendiagnose im Ayurveda: Jihva Pariksha

Die Zunge ist ein Muskelorgan, das mit einer Schleimhautschicht bedeckt ist. Sie gehört zum Verdauungstrakt – und sie ist eines der Körperteile, die man viel zu wenig zu schätzen weiß. Wie sehr wir auf sie angewiesen sind, würden wir wohl erst realisieren, wenn wir sie nicht mehr hätten. Kauen, schlucken, schmecken, tasten, küssen, saugen, sprechen und singen: All das wäre ohne die Hilfe unserer Zunge ziemlich schwierig.

Wir unterteilen die Zunge in den Zungenkörper, die Zungenwurzel und die Zungenspitze. Für die ayurvedische Zungendiagnostik betrachten wir neben der Oberseite (dem Rücken) auch die Unterseite und die Zungenränder. Zungendiagnostik gibt es natürlich nicht nur im Ayurveda: Viele Menschen kennen zum Beispiel die Zungendiagnose der TCM. Auch in der Schulmedizin werden Patienten hin und wieder gebeten, dem Arzt die Zunge herauszustrecken.

Kann man Krankheiten an der Zunge erkennen?

Na, wann musstest Du das letzte Mal beim Arzt laut „AAAAA“ sagen? Aus Sicht der westlichen Medizin gibt die Zunge vor allem Hinweise auf akute Infektionen, Nährstoffmängel und Organprobleme. Eine sogenannte Lackzunge, bei der sonst raue Zunge glatt und glänzend wirkt, kann zum Beispiel einen Mangel an Vitamin B12 zeigen. Und vielleicht kennst Du auch die Himbeerzunge, die ein Anzeichen für Scharlach sein kann.

Im Ayurveda geht es bei der Zungendiagnostik darum, das Gleichgewicht der drei Doshas Vata, Pitta und Kapha zu bestimmen. Außerdem zeigt die Zunge, wie es um Dein Agni (Verdauungsfeuer) und um die Körpergewebe Rasa, Rakta und Mamsa steht. Erfahrene Therapeuten können so auch bestimmte Eigenschaften und Dysbalancen erkennen, die auf bestimmte Krankheiten hinweisen.

Das heißt aber nicht automatisch, dass ein bestimmtes Merkmal der Zunge Dir zeigt, dass Du zum Beispiel eine Gastritis hast. Aber sie gibt Hinweise auf ein Milieu, in dem sich bestimmte Krankheiten entwickeln können.

Was die ayurvedische Zungendiagnostik zeigen kann:

  • Den Zustand von Vata, Pitta und Kapha
  • Vorhandensein von Ama (unverdauten Stoffwechselzwischenprodukten)
  • Entzündungsprozesse im Körper
  • Organgesundheit
  • Nervöse und psychische Störungen
  • Akute Infektionen
  • Nährstoffmängel und Malabsorption
  • Schwäche- und Erschöpfungszustände

Wie funktioniert die Zungendiagnostik?

Das klingt alles ein bisschen kompliziert, oder? Ganz ehrlich: Das ist es auch. Die Zungendiagnose gehört zu den Methoden im Ayurveda, die man erst nach vielen Jahren der Praxis richtig beherrscht. Je mehr Zungen Du betrachtest, desto mehr Muster und Zusammenhänge wirst Du erkennen. Wenn Du üben willst, kannst Du ja schon mal alle Menschen in Deinem Umfeld bitten, Dir öfter mal die Zunge herauszustrecken.

Vor der Zungendiagnostik sollte die Person möglichst nichts gegessen oder getrunken haben. Auch Rauchen und Zähneputzen können den Eindruck verfälschen. Die Zunge sollte locker und ohne Anstrengung aus dem Mund hängen. Weil es den Muskel aktiviert, führt längeres Herausstrecken der Zunge dazu, dass sie besser durchblutet wird. Damit der Farbton sich nicht verändert, ist es besser, wenn Dir Dein Gegenüber die Zunge nur kurz (und dafür mehrfach) zeigt.

Worauf du bei der ayurvedischen Zungendiagnostik achten solltest:

Bereich / MerkmalEigenschaften
ZungenformGröße, Dicke, Länge, Breite, evtl. Schwellungen
OberflächeGlatt oder rau, Erhebungen, rote Punkte, Risse (wo?)
FeuchtigkeitNass, feucht, trocken, schleimig
FarbeRosa, blassrosa, hellrot, intensiv rot, livid (bläulich)
BewegungRuhig, schlapp, vibrierend, angespannt
BelagDicke, Farbton, Flecken, Bereich, feucht, trocken
AbdrückeForm, Tiefe, Position
UnterzungeFarbe, hervorstehende Venen, Spannungen

Zunge und Doshas

Eine gesunde Zunge ist aus ayurvedischer Sicht rosa oder hell- bis blassrot, leicht feucht, bewegt sich ruhig und geschmeidig, hat keine Risse oder Abdrücke und ist mit einem dünnen, hellen Belag überzogen. Wie feucht die Zunge ist, hängt allerdings auch mit dem Klima und der Jahreszeit zusammen. Trotzdem liefert das Aussehen der Zunge oft gute Hinweise auf die Dosha-Konstitution.

Natürlich gibt es nicht die eine, perfekte Zunge: Dass Zungen unterschiedlich aussehen, ist ganz normal. Vata-Zungen sind klein, eher spitz und meist sehr beweglich. Pitta-Zungen sind mittelgroß, muskulös und haben ein intensiveres Rot als die anderen beiden Typen. Kapha-Zungen sind oft recht groß und haben eine eher runde Form. Sie sind oft sehr feucht bis leicht schleimig, glatt und wirken stabil und ruhig.

Die Prakriti, also Deine angeborene ayurvedische Konstitution, bestimmt, wie Deine Zunge im gesunden Zustand aussieht. Anhand der Zunge können wir aber auch Rückschlüsse auf Deine Vikriti ziehen: Das ist das aktuelle Gleichgewicht Deiner Doshas. Ernährung, Umwelteinflüsse, Erlebnisse und Gewohnheiten können nämlich zu Störungen und Dysbalancen führen.

  • Eine sehr schmale und trockene Zunge, die zittert oder mit Rissen durchzogen ist, weist auf eine Vata-Störung hin. Dasselbe gilt für einen grauen bis braunen Belag, der eher auf dem hinteren Teil der Zunge sitzt und eine blasse Zungenunterseite mit blau verfärbten Venen.
  • Intensiv rote Zungen, vielleicht sogar mit roten Punkten oder Erhebungen, können eine Pitta-Dysbalance anzeigen. Ein zu dominantes Pitta Dosha zeigt sich außerdem manchmal durch einen dünnen, gelblichen Belag.
  • Kapha-Störungen führen zu blassen, sehr feuchten und geschwollenen Zungen, die bis zur Spitze mit einem klebrigen weißen Belag überzogen sind.

Ama und Darmprobleme an der Zunge erkennen

Ama bedeutet, dass sich im Körper Schadstoffe angesammelt haben. Aus ayurvedischer Sicht ist Ama die Ursache vieler Krankheiten. Deshalb ist es sehr wichtig, bei den ersten Anzeichen von Ama möglichst schnell zu handeln. Das erreichst Du, indem Du Dein Verdauungsfeuer Agni unterstützt. Ein großes Glas warmes Ingwerwasser am Morgen, leicht verdauliche Mahlzeiten und viele Gewürze, die die Verdauung anregen, können dabei viel bewirken.

Im Ayurveda ist es sehr wichtig, jeden Morgen die Zunge mit einem Zungenschaber zu reinigen. Das löst die Giftstoffe, die sich über die Nacht angesammelt haben und unterstützt den Stoffwechsel. Gleichzeitig beugst Du Mundgeruch vor und entfernst Bakterien, die Karies begünstigen können. Eine perfekte Ergänzung dazu ist das ayurvedische Ölziehen.

Dass Ama vorliegt, erkennst Du also am Zungenbelag. Je dicker und hartnäckiger der Belag ist, desto tiefer hat sich Ama schon im Körper festgesetzt. An der Farbe des Belags siehst Du, mit welchem Dosha Ama in Verbindung steht.

Neben Ama gibt uns die Zunge auch Hinweise für andere Probleme im Verdauungstrakt: Zahnabdrücke an den Zungenrändern können zum Beispiel ein Zeichen dafür sein, dass der Körper Nährstoffe nicht richtig aufnimmt. Eine sehr blasse Zunge wiederum kann auf einen Eisenmangel (Anämie) hindeuten.

Fazit: Zungendiagnostik im Ayurveda

Die Zungendiagnostik ist eine der faszinierendsten Methoden des Ayurveda. Erfahrene Ayurveda-Therapeuten erkennen an der Zunge ein Dosha-Ungleichgewicht und Hinweise auf Störungen und Blockaden. Vor allem Nährstoffmängel, Infektionen und ein gestörtes Agni zeigen sich schnell am Aussehen und Belag der Zunge. Ähnlich wie in der TCM ist die Zunge im Ayurveda deshalb ein wichtiger Teil der Diagnose.

Dieser Blogbeitrag zeigt ein stark vereinfachtes Bild: Die ayurvedische Zungendiagnostik ist eine echte Kunst, die Du erst nach jahrelanger Erfahrung richtig anwendest. Trotzdem spricht natürlich nichts dagegen, an Dir selbst und an Menschen in Deinem Umfeld zu üben. Wenn Du jeden Morgen Deine Zunge analysierst, entwickelst Du ein gutes Gespür dafür, wie sie sich unter bestimmten Einflüssen verändert.

Du möchtest noch tiefer in die Prinzipien und Methoden des Ayurveda einsteigen? Dann melde Dich für die nächste Runde unserer Ausbildung zum Ayurveda Therapeut Intensiv an, hier erlernst Du nicht nur die Zungendiagnostik, sondern alle Grundlagen der Ayurveda-Diagnose und der Krankheitsentstehung aus ayurvedischer Sicht. Wir würden uns sehr freuen, Dich dabei zu haben!

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